2020/09/11
Das Zentrum ist eröffnet
Die RABRYKA im Werk1

Wow - Der Wunsch der Görlitzer Jugend nach einem eigenen Zentrum für Jugend- und Soziokultur ist vor gut 9 Jahren enstanden. Gestern konnten wir mit der Eröffnung nun einen entscheidenen Schritt in diese Richtung feiern!

Danke an unseren Oberbürgermeister Octavian Ursu für die feierliche Anprache zur Eröffnung und an Siegfried Deinege, der das Projekt als ehemaliger Oberbürgermeister mit auf den Weg gebracht und lange begleitet hat. Wir hatten einen wunderbaren Tag und freuen uns über all das positive Feedback und die beeindruckten Blicke durchs Zentrum.

Der gestrige Tag war aber nur ein weiterer Schritt auf einem langen Weg, auf dem viele Engagierte bereits mitgewirkt und in die Stadtgesellschaft gestrahlt haben. Ein Weg, auf dem die RABRYKA entstanden und zu dem gewachsen ist, was sie heute ist.

Wir freuen uns darauf, diesen Weg mit euch weiterzugehen - hin zu einer Plattform mit der wir gemeinsam die Zukunft dieser Region gestalten. 💛

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Die Eröffnungsrede des Geschäftsführers Christian Thomas

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Stadträte, liebe Bürgerinnen und Bürger und Gäste,   

auch ich als Vertreter des Second Attempt e.V. und der vielen Engagierten, begrüße Sie herzlich auf dem Gelände des ehemaligen Wagonbauwerks I.

Wir befinden uns hier an der Grenze dreier Grundstücke (neben der alten Hefe- und Spirituosenfabrik und der Hilgerstraße), die für die Industrialisierung und für die Blütezeit der Stadtgeschichte steht aber auch Träger der Geschichte um den Arbeiteraufstand 1953, den Einsatz von Zwangsarbeitern im zweiten Weltkrieg und den Konsequenzen des Ausverkaufs durch die Treuhand.

Durch die Sanierung der Furnierhalle können wir nun die Erinnerung an die Vergangenheit durch den Erhalt dieses Industriebaus wachhalten und die Geschichte des Wagonbauwerks I fortschreiben. 

Wer hätte je gedacht, dass das Engagement zunächst weniger junger Menschen einmal dazu führen wird, dass diesen Gebäuden dauerhaft neues Leben eingehaucht wird.

 

Entstehung

Mut, Vertrauen und Zuverlässigkeit sowie einen langen Atem begleitete die Protagonisten des Aufbruchs der Görlitzer Jugend und der Stadtverwaltung auf ihrem langen beschwerlichen Weg von der Äußerung der Notwendigkeit, die Stadt für Jugendliche attraktiver zu gestalten, bis zur Erarbeitung der konkreten Entwürfe eines ganzheitlichen Betreiberkonzeptes und der Begleitung der Sanierung.

In den ersten Jahren nach dem Aufbruch verließen viele, die einst durch den Flashmob während der Stadtratssitzung ein Zeichen gesetzt haben, die Stadt. Was sollte sie auch hier in der Stadt halten? Denn was sich kaum verändert hatte, sind die strukturellen Rahmenbedingungen, in der junge Menschen hier aufwuchsen und neue Perspektiven suchten.

Die Idee ein Zentrum f. Jugend- und Soziokultur zu errichten verbreitete sich jedoch wie ein Lauffeuer und inspirierte in den folgenden Jahren viele hunderte Bürger:innen, sich zunächst an dem Prozess zu beteiligen und sich anschließend dafür zu entscheiden in Görlitz zu bleiben.

Vertrauen war notwendig, um diesem Haufen von Jugendlichen eine Chance einzuräumen, sich zu organisieren und zu strukturieren, klare Bedürfnisse zu artikulieren. Wir haben experimentiert, uns ausgetestet und professionalisiert, um den Anforderungen der Betreibung einer derartigen Institution standzuhalten und das Vertrauen, das uns die Stadtverwaltung und die Stadtpolitik entgegengebracht hat, nicht zu enttäuschen.

Aber auch wir mussten viel Vertrauen mitbringen. Vertrauen in die Demokratie, in Bürgerbeteiligungsprozesse, darin, dass die Verwaltung und die Politik die Notwendigkeit dieser Einrichtung sehen. Dass wir ehrlich auf Augenhöhe miteinander kommunizieren und unseren gemeinsamen Auftrag sehen, die Stadt gerade wegen der Transformationsprozesse und des Strukturwandels zu einem attraktiven Ort für alle zu gestalten.

 

Perspektive

In den Jahren, in denen wir an dem Aufbau der Institution gearbeitet haben, veränderte sich unser Blick auf die Stadt und deren Herausforderungen. Erst beschäftigte uns die Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen, dann die internationale Migrationsbewegung und Integrationsarbeit. Heute ist es vermehrt das mangelnde Vertrauen in die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, der Braunkohleausstieg oder die wiederentdeckte Ost-Identität, welche die Menschen auf die Straße treibt. Rundum befinden wir uns in einer Gesellschaft, die in einer Art Alarmbereitschaft mit komplexen Herausforderungen konfrontiert ist, die nicht durch einfache Antworten oder Zuschreibungen gelöst werden können.

Darüberhinaus zeigen die Infrastrukturmaßnahmen, wie die Ansiedlung von Forschungseinrichtungen, des Innovations-Campus oder der Filmakademie, das neue Anforderungen an Kompetenzen und Fähigkeiten, wie das selbstständige Aneignen von Wissen, Einfühlungsvermögen, Flexibilität, Selbstmanagement, Kreativität und Erfindungsreichtum gegenüber dem gelehrten Fachwissen an Bedeutung gewinnen.

Wir sollten in allen folgenden Maßnahmen deswegen eine Waage finden zwischen der Wirtschaftsförderung und der Bildungs- und Gemeinwesenarbeit, damit wir nicht die Menschen vergessen, die hinter den sanierten Gebäuden, neuen Produktionsstätten und Forschungseinrichtungen stehen und diejenigen, die sich nicht täglich mit dem wachsenden Komplexitätsgrad auseinandersetzen können und eine Überforderung spüren.

 

Welche Bedeutung und Rolle misst man dabei Kultureinrichtungen und vor allem deren Mitarbeiter:innen zu?

Sie müssen mehr sein als die Träger und Bewahrer der Traditionen einer Stadt. Sie müssen neue Gestaltungs- und Identifikationsoptionen bieten, sie müssen den Wandel aus einer sehr menschlichen und kulturellen Perspektive mit Hilfe des direkten Dialogs begleiten und sich stets für die berufliche, soziale und kulturelle Selbstverwirklichung aller Menschen jeglichen Alters und Herkunft einsetzen.

Wir brauchen insbesondere Menschen, die sich diesem Aushandlungsprozess von unterschiedlichen Meinungen und Ansichten professionell und konsequent widmen und sich nicht vor dem Dialog scheuen.

 

Inhalte

Das Zentrum für Jugend- und Soziokultur ist deswegen eine Plattform, mit der wir gemeinsam die Zukunft dieser Region gestalten werden. Es aktiviert, befähigt und ermutigt vor allem junge Menschen zum Bleiben oder Rückkehren und Gestalten ihres Lebensumfeldes. Die stark partizipativ ausgerichteten Methoden führen zu einem selbstbestimmten Ort der Innovation und Kreativität. Als Betreiber handeln wir nach dem Empowerment Ansatz: Im Vordergrund steht die Ermächtigung und Übertragung von Verantwortung.

Sparten-, generationsübergreifende und interkulturelle Formate werden soziale, handwerkliche und künstlerische Kompetenzen vermitteln, zum bürgerschaftliche Engagement ermuntern oder dieses qualifizieren. Darüber hinaus werden durch vielfältige kulturelle Veranstaltungen neue Begegnungszeiträume und durch offene, selbstverwaltete Treffpunkte neue Freizeit- und Aufenthaltsmöglichkeiten geboten. Die benötigten Räume klingen dabei teilweise profan. Projektwerkstätten mit 3D-Druckern, CNC-Fräsen, 3D-Scannern wie in FabLabs oder MakerSpaces, Bandproberäume & Tonstudio mit modernen Aufnahmemöglichkeiten, ein Jugendtreff eventuell ausgestattet mit VR-Brillen, 360 Kameras aber auch den obligatorischen Tischkicker oder dem Stadtteilgarten, den Sie gerne heute auch besichtigen können.

Oder mit Hilfe von Formaten aus der kulturellen Bildung, mit denen man sich mit künstlerischen Tätigkeiten die Welt angeeignet, Themen verarbeitet und eine Haltung einnimmt. Einerseits in Worten wie beim Poetry Slam, bildend wie beim Graffitisprayen oder darstellend wie beim Improvisationstheater, digital durch die Entwicklung von Spielen, die in ihrer Geschichte Bezüge zu gesellschaftlichen Themen nehmen.

Die heutige Eröffnung ist jedoch nicht der große Wurf oder der letzte Schritt, nachdem wir nun in die Performingphase starten. Er ist ein weiterer Schritt auf dem 9-Jährigen Weg, in dem viele Engagierte bereits mitgewirkt und in die Stadtgesellschaft gestrahlt haben. In der wir gemeinsam mit vielen weiteren Akteuren eine Atmosphäre kreiert haben, die dazu angespornt hat auch ein Risiko einzugehen, in der wir Hoffnung gegeben haben, dass es sich lohnt hier in der Stadt etwas zu gründen oder eine Idee umzusetzen und dass es hier auf einen dankbaren Nährboden fällt.

Die beschriebenen Herausforderungen werden wir als Einrichtung und Verein nicht alleine bewältigen. Dazu bedarf es eine noch breiterer Beteiligung und weiterer Vereine, die sich spezialisieren, wie den Kulturbrücken e.V. – der Preisträger des sächsischen Preises für Kulturelle Bildung, der mit Hilfe von Zirkuspädagogik polnische und deutsche Menschen in den Austausch bringt oder der Filmclub von der Rolle 94 e.V. – die den sächsischen Anerkennungspreis für Demokratie für die queeren Aktionstage bekommen haben und wiederum mit dem Medium Film zeigen, wie divers unsere Gesellschaft ist.

Um wirkliche Haltefaktoren zu erzeugen, bedarf es persönlicher Beziehungen und Freundschaften, die aus den gemeinsamen Aktionen und Diskussionen entstehen. Deswegen war es immer auch unser Ziel, Menschen dabei zu unterstützen neue Verein zu gründen, wie den Ton.Labor e.V., der aus der Impulsprojekteförderung 2015 mit einer Idee eines low-budget Tonstudios heraus entstanden ist und heute monatlich Nachwuchsmusiker:innen in der offenen Kulturbühne eine Plattform bietet oder das Neiße Centre for Contemporary Arts e.V., das sich letztes Jahr unter Mitwirkung des Second Attempt e.V. gegründet hat und unter dessen Trägerschaft die Zukunftsvisionen, die Tanztage und das Atelierhausprojekt Kulturheim läuft.

Diese Plattform lebt, seitdem der Funke der Inspiration übersprang und seitdem wir in der Hefefabrik der Verwirklichung eines interdisziplinären und generationsübergreifenden Ortes näher kommen, um Neues zu wagen und dabei auch das Positive im eventuellen Scheitern zu erkennen. 2019 engagierten sich über die 65 Vereinsmitglieder noch ca. 100 Personen in 9 Projekten an der Vision und es werden jährlich mehr.

 

Danksagung

Mir bleibt nun Dank auszusprechen an die Jugendlichen, die den Stein ins Rollen gebracht haben, an die vielen Engagierten, die einen Beitrag zur Entstehung der RABRYKA geleistet haben.

An die Vereine und Initiativen, die über unser Engagement hinaus die Stadt zu einem lebenswerten Ort machen.

An den Eigentümer der Hefefabrik Herr Icking, der uns viel Freiheiten gelassen hat, mit dem wir auch immer konstruktiv über die gemeinsame Zukunft der Hefefabrik gestritten haben.

An den Landesverband Soziokultur und die anderen soziokulturellen Zentren des Kulturraumes für die Unterstützung bei der Beantwortung der vielen Fragen, die wir hatten und die sicherlich noch kommen werden.

An das Institut für neue Industriekultur – INIK aus Cottbus, die uns auf dem langen Weg der Sanierung begleitet haben und stets versucht haben, unsere teilweisen recht kurzfristigen Änderungen einzuarbeiten.

Und natürlich an Herrn Siegfried Deinege für seine Bemühungen in dem langen Prozess, seinem leidenschaftlichen Einsatz und seine Unterstützung über seine Amtszeit hinaus.

Sowie an die Förderer wie dem BMUB und dem BBSR, die uns als erste ermöglicht haben, das Experiment auszudehnen, der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und dem Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien, dem europäischen Sozialfond, dem Landkreis Görlitz und der SAB für die Projektförderungen der letzten Jahre, der Stadt Görlitz und den Stadträten für das bereits erwähnte Vertrauen und der Verantwortungsübertragung.